Gedanken zur Flüchtlingspolitik

Eigentlich wollte ich nur auf Facebook meine spontanen Gedanken zur Wieder-Inkraftsetzung von Dublin III niederschreiben. Herausgekommen ist das hier:

Unseren Konservativen scheinen im Moment echt die Felle davonzuschwimmen…

Zur Erklärung, lt. Dublin III bzw. Wikipedia ist das EU-Mitgliedsland, in dem ein asylsuchender Mensch zuerst ankommt und registriert(!) wird für das Asylverfahren zuständig.
Deutschland als Land quasi ohne EU-Außengrenze ist natürlich in einer privilegierten Position, da letztendlich der überwiegende Teil der Menschen über das Meer in Italien oder Griechenland ankommt.
Als sich die Situation in Ungarn zugespitzt hatte, hat Angela Merkel in einer für viele (wie auch mich positiv) überraschenden Aktion festgelegt, daß das Verfahren zeitweise ausgesetzt werden würde, und infolgedessen die Menschen nach Deutschland kommen dürften, auch wenn sie bereits in Ungarn registriert worden waren. Der tagesschau​-Artikel geht auch darauf ein.

Jetzt hat meiner Meinung nach aber die Politik “ein Ohr am Volk” und hört meiner Meinung nach vor allem auf die von medialer Bilderflut verunsicherten Menschen, die Angst haben, ein Schutz suchender Mensch aus einem anderen Land nehme ihnen etwas weg.
Es stimmt wohl, daß viele Menschen zu uns kommen. Es stimmt aber auch, daß unsere Infrastruktur über Jahrzehnte kaputtgespart wurde. Ich kann es ebenfalls nur den Medien entnehmen, wie überfordert die Kommunen mit der Unterbringung der ankommenden Menschen sind. Der Fehler liegt meiner Meinung nach aber im System. Jahrelang wurden Stellen in den entsprechenden Behörden abgebaut. Technische Infrastruktur wurde seit Ende des kalten Krieges zurückgebaut, Vorräte für Notlagen wurden reduziert. Ich möchte mir wirklich nicht vorstellen, was bei einer echten Katastrophe in Deutschland passiert, wenn wir mit den vorhanenen Ressourcen zurecht kommen müßten.

Ich bin nicht wirklich ehrenamtlich engagiert, wenn man von einem regelmäßigen Austausch mit neu nach Dortmund kommenden Menschen im Rahmen von Couchsurfing oder einem Sprachcafe oder auch dem Austausch mit ehrenamtlichen Helfern aus dem Bekanntenkreis absieht. Deshalb kann ich nur aus zweiter Hand berichten, wie es den ankommenden Menschen oder den Helfern geht. Es gibt wirklich Menschen, die über die Grenzen ihrer Substanz hinweg Menschen, die auf unbeschreiblichen Wegen ihren Weg in unsere Stadt finden, selbstlos unterstützen und versuchen, ihre Situation menschenwürdig zu gestalten. Was “train of hope” im Rahmen der Drehscheibe geleistet hat, war sicherlich ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man mit Menschen umgehen soll, sie ankommen lassen und ihre grundsätzlichsten Bedürfnisse erfüllen, bevor sie weiter auf die Erstaufnahmestellen verteilt werden und dort sehen müssen, wie sie zurecht kommen. Toll sind auch die ganzen Spenden, die im Rahmen dessen zusammenkommen. Das hätte ich von einer eigentlich als egoistisch verschrienen Gesellschaft so nicht erwartet.
Ich mag mir auf der anderen Seite aber nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn es dieses ehrenamtliche Engagement nicht gegeben hätte. Und das Engagement wird weiter benötigt.
Auch nach dem Ankommen sind die Menschen hier, wohnen in Übergangseinrichtungen, oft zu Mehreren in einem Raum, z.B. einem umgebauten Klassenzimmer. Ehrenamtliche Kräfte bemühen sich darum, daß kein “Lagerkoller” aufkommt, bieten z.B. Deutschunterricht oder Aktionen für Kinder an.
Und auch später, wenn die Menschen eine Wohnung gefunden haben, benötigen sie Hilfe, beim Umgang mit den Ämtern, damit sie irgendwann die Erlaubnis bekommen, eine Tätigkeit aufzunehmen oder ihre Familie nachreisen zu lassen.

Und damit bin ich (endlich) an dem Punkt, wo wieder die Politik ins Spiel kommt. Betrachtet man den ganzen Sermon, mit dem ich gerade versucht habe, die Situation zusammenzufassen, wird meiner Meinung nach deutlich, wie zynisch es ist, aufgrund von diffusen Ängsten in der Bevölkerung mitten in der Situation Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation der ankommenden Menschen verschlechtern. Ob es nun der Vorstoß zum Familiennachzug ist, das Erklären gescheiterer Staaten zu “sicheren Herkunftsländern” oder das Beharren auf Dublin III, wir haben ein Asylrecht im Grundgesetz und jeder Einzelne, der zu uns kommt, hat ein Recht darauf, daß sein Anliegen gehört wird und er entsprechend versorgt wird, bis sein Anliegen entweder abgelehnt wird oder er anerkannt wird und sich am Ende hier eigenständig versorgen kann oder er vielleicht irgendwann, wenn sich die Situation im eigenen Land geändert hat, dorthin zurückkehrt und viele Erfahrungen und vielleicht auch Kenntnisse aus Deutschland dorthin mitnimmt. Aber bis dahin ist das Asylrecht etwas, an dem sich nicht rütteln läßt. Und ja, Deutschland ist sicherlich organisatorisch überfordert (was eine Untertreibung ist). Aber dann muß man die Mittel aufstocken (und man hätte es schon vor über einem Jahr tun sollen, als sich die Situation abgezeichnet hat) und nicht konservativ-reaktionär an der Stelle eingreifen, wo die Menschen sich nicht dagegen wehren können.

Ich gehe jetzt gar nicht auf die anderen Argumente ein, die darauf hinauslaufen, daß wir genügend eigene Probleme (Arbeitslosigkeit, niedriger Bildungsstand in großen Teilen der Bevölkerung, Obdachlosigkeit) haben. Diese Probleme sind “hausgemacht”! Seit Jahrzehnten wurde großzügig über diese Probleme hinweggesehen und die durchgeführten Reformen gerade der konservativen Regierungen hatten eher das Ziel, den Status Quo aufrecht zu erhalten, anstatt echte Verbesserungen herbeizuführen, damit der Reihenhausbesitzer aus dem Mittelstand schön zufrieden ist und sich sicher fühlt. Besagter Reihenhausbesitzer hat sich außer “ist schon schlimm” nämlich auch keine Gedanken über die Gründe gemacht, warum Menschen obdachlos sind oder zu 30 Mann in einer Wohnung im Dortmunder Norden hausen, ihn interessiert nur, daß der Dortmunder Norden eine No-Go-Area ist und “die mal etwas machen sollen”.
Nein, es läuft alles wie immer, Probleme werden verdrängt, bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens sollen “wie bisher” mit Ordnung und Sauberkeit ablaufen und die Probleme haben dann “die anderen”.

Denkt mal ‘drüber nach.